Grenzsteine aus vergangenen Zeiten und ihre Geschichte –

Wanderung auf dem Grenzsteinweg Winterhalde

Strahlender Sonnenschein und vorfrühlingshafte Temperaturen mitten im Februar 2019 hatten eine interessierte, große Wandergruppe ermuntert, mit den beiden Wanderführern Horst Weber und Gerhard Maus den Grenzsteinweg an der Winterhalde Sindelfingen zu erkunden. Auf Anregung und in Zusammenarbeit mit der Initiative Kultur am Stift hatte die Stadt Sindelfingen diesen Weg 2013, im Jahr des 750 jährigen Stadtjubiläums, angelegt. „Er erzählt von vergangenen Zeiten, in denen das Leben der Menschen sehr viel anders verlief als unser heutiges“ (aus dem Vorwort der Wegbeschreibung).

Die Bedeutung der Grenzsteine

Grenzsteine markierten Herrschaftsgebiete, Besitztümer, Zehntgrenzen und Rechtsgebiete. Sie wurden zu einer Zeit aufgestellt, als es noch keine detaillierten Landkarten gab. Ungefähr 600 dieser Grenzsteine bezeichneten einst die Sindelfinger Gemarkung. Der Transport der zentnerschweren Steine mit Ochsenkarren und das Aufstellen nur mit Muskelkraft z. Beispiel in tief eingeschnittene Klingen muss eine überaus schwere und mühsame Arbeit gewesen sein.

Die Grenzsteine wurden aus wetterbeständigem Stubensandstein gehauen und fein bemeißelt. Auf der Oberseite markiert eine Längskerbe den Verlauf der Gemarkungsgrenze. Besonders interessant sind die „Dreimärkersteine“. Eine zusätzliche Kerbe zeigt an, dass hier drei Gemeinden oder Besitztümer aneinanderstoßen. Ein solcher Stein steht an der nördlichen Grenze beim Katzenbacher Hof, wo der zu Esslingen gehörende Spitalwald, der Sindelfinger Stadtwald  und das Maichinger Mietholz aneinander stoßen. Dort findet man auch das Wappen des Esslinger Spitals, das gefiederte Kreuz. Ein weiterer Dreimärker steht im Mahdenbachtal. Dort grenzen die Musberger, die Sindelfinger und die Böblinger Gemarkungen aneinander. Ein besonders schöner Dreimärkerstein steht westlich von Maichingen an der Gemarkungsgrenze zwischen Döffingen, Maichingen und Magstadt. Der Restaurator Lech Accordi hat diesen Stein jüngst von Moos und Flechten befreit. Jetzt strahlt er wieder und lohnt einen Besuch.

Grenzsteinkarte

Untergänger und Marksteinzeugen

Das Setzen und die regelmäßige Kontrolle der Grenzsteine war Aufgabe der „Untergangskommissionen“.  Steine unrechtmäßig zu versetzen, galt als Verbrechen und wurde mit harten Strafen geahndet. Um die ursprüngliche Lage erkennen und nachweisen zu können, wurden unter die Steine besonders geformte Ziegel- oder Steinblättchen als „Marksteinzeugen“ gelegt. In der jüngsten Vergangenheit wurden eigens dafür gebrannte Tonblättchen verwendet.

Grenzsteine sind heute, nachdem sie ihre ursprüngliche Bedeutung z. Beispiel durch die Satellitenvermessung verloren haben, geschützte Kleindenkmäler ebenso wie Marksteine, Feldkreuze oder Sühnekreuze. Es gilt sie zu erhalten, denn sie sind wichtige Zeugen unserer Landesgeschichte. „Denk’ mal!“  war deshalb auch das Motto dieser Wanderung.

Die Sindelfinger Grenzsteine tragen auf der Innenseite als „Fleckenzeichen“ das Kreuz. Auf der gegenüberliegenden Seite steht das Zeichen der angrenzenden Gemeinde oder des jeweiligen Besitztums. Der Ort Maichingen hat als Fleckenzeichen den (vermutlichen) Reichsapfel oder verwendet das „MM“ für „Markung Maichingen“. Magstadt hat als Fleckenzeichen das „M“ und Böblingen verwendet das Stadtwappen, die Dreilatzfahne.

Das Grenzsteinprojekt von Horst Weber und Klaus Philippscheck

Sie hatten sich vorgenommen, die Steine wieder zu finden, zu säubern und sichtbar zu machen. Trotz sorgfältigster Vorbereitung und Mühe waren aber nur noch weniger als die Hälfte der Steine auffindbar. Die anderen Grenzsteine sind im Lauf der Zeit tief im Boden versunken, weggerutscht und zugewachsen. Andere sind zerbrochen oder wurden gedankenlos beseitigt und viele Steine sind durch Verwitterung kaum mehr leserlich. Diese mühevolle Arbeit war überhaupt nur in der vegetationsarmen Zeit möglich, im zeitigen Frühjahr und dann wieder im Spätherbst.

Bei unserer Wanderung erzählte ein Teilnehmer vergnügt: „Auf einem Spaziergang krochen unvermutet zwei völlig zerzauste Gestalten mit Bürste und verschlammten Gummistiefeln aus dem Unterholz. Nach einigem Rätselraten erkannte ich schließlich den Klaus Philippscheck und Horst“.

Der Sindelfinger Grenzsteinweg

Um die Winterhalde herum entdeckt man Grenzsteine, die auf der einen Seite das Sindelfinger Kreuz und auf der anderen Seite Geweihstangen tragen, also das Zeichen des württembergischen Staatsforsts. Tatsächlich gab es einmal innerhalb der Sindelfinger Gemarkung eine Enklave, die den württembergischen Grafen, dann den Herzögen und den Königen als Jagdgebiet gehörte. Wenn der Landesherr unsere Stadt besuchen wollte, konnte er über sein eigenes Territorium anfahren. Die Urkunden darüber lagern wohl tief verborgen und noch unentdeckt im Landesarchiv.

Entlang dem etwa 900 Meter langen Weg stehen 16 historische Grenzsteine. Der Weg beginnt mit dem Stein Nummer 43 unterhalb des Badezentrums und führt am Fuß der Winterhalde entlang nach Nordosten. Bei der Kreuzung mit dem Teufelslochweg steht beim Stein mit der Nummer 57 die erste Informationstafel. Hier wird beschrieben, wie das Setzen der Steine einst erfolgte. Im Heimatkundeunterricht wurde uns einst erzählt, dass immer Schulbuben zugegen waren und dass man einem eine kräftige Ohrfeige gegeben habe. Danach soll er die genaue Stelle für immer im Gedächtnis behalten haben. Vielleicht ist diese Erzählung nur ein Märchen, jedenfalls aus heutiger Sicht kein lustiges!

Nach dem Überqueren der Hohenzollernstraße findet man die nächste Informationstafel beim Grenzstein Nr. 65, der 1701 gesetzt wurde. Die Tafel beschreibt den ehemaligen Herrschaftswald. 

Die Grenze zwischen der Stadt und dem Territorium des Winterhaldenwalds wurde durch einen tiefen Graben und einen Wildzaun gesichert. Hier stand eines der beiden Tore, durch die man in den Wald hineinkommen konnte. Dieser Stein zeigt auf der Oberseite eine „Weisung“ in Form einer weiteren Kerbe senkrecht zum Grenzverlauf. Hier war die Grenze zwischen der städtischen „Bürgerwiese“ und einem weiteren kleinen Wald, der auch der württembergischen Herrschaft gehörte.

Beim  Grenzstein Nr. 71 steht die dritte Informationstafel. Sie erläutert die Bedeutung des Walds auf der Winterhalde als damalige Viehweide. Der Wald war enorm wichtig  für die Bau- und Brennholzgewinnung und wurde deshalb streng geschützt. Solange das Vieh nicht auf die Felder durfte, wurde es in den Wald getrieben. Die Stadt hatte das uralte Recht, ihr Vieh auch in den Herrschaftswald Württemberg hineinzutreiben „von Georgi (23. April) bis Jacobi (25. Juli) mit gehörntem Vieh und Pferden“. Auch die Schweine durften sich im Herbst dort mit Eicheln und Bucheckern fett fressen.

Die Wanderung führte dann zu unserem Vereinsheim hinauf, wo der gemütliche Abschluss stattfand.

Unser besonderer Dank gilt Herr Friedemann Böttiger, der bis Ende 2018 das Amt für Vermessung und Stadtplanung leitete und ein ausgezeichneter Kenner der Geschichte der Grenzsteine ist. In die abgebildete Karte aus seinem Amt hat „Kultur am Stift“ alle bekannten Grenzsteine der Gemarkung von Sindelfingen, Maichingen und Darmsheim eingetragen.

                                                                                                                 Horst Weber und Gerhard Maus