Entstehung und Stadtgründung von Sindelfingen
Von Dr. Alfred Hinderer
Der Ursprung
Schon zwischen dem ersten und dritten Jahrhundert bestand am Fuß des Goldbergs eine römische Siedlung. Zwei sich kreuzende römische Straßen wurden an ihrem Westrand nachgewiesen, und beim Bau der neuen B 464 wurde auf dem Feld zwischen dem Hinterweil und Maichingen eine „Villa Rustica“ gefunden. Sie und weitere „Villae Rusticae“ versorgten die römischen Truppen am Neckarlimes. Nach dem Abzug der römischen Truppen siedelten sich auf der Sindelfinger Markung Alemannen an. Zwei Siedlungen sind sicher nachgewiesen, das Dorf Sindelfingen im Bereich der unteren Grabenstraße und ein Weiler Altingen im Bereich der Schadenwasenstraße am Fuß des Goldbergs. Ein dritter Weiler wird im Wurmbergviertel vermutet.
Im Bereich des heutigen Stifts-Gymnasiums wurden außerordentlich wertvolle Grabbeigaben gefunden, die auf eine sehr wohlhabende Oberschicht hinweisen, die hier gelebt hat. Und auch im Gewann „Feger“ wurde ein Bestattungsplatz gefunden, der zum Dorf Sindelfingen gehörte, benannt nach ihrem Anführer Sindolf. Von ihm hat die spätere Stadt ihren Namen erhalten.
Die Stadtgründung
Die Staufer hatten um 1146 Graf Hugo I. (vormals Hugo V. von Nagold) zum Pfalzgrafen von Schwaben erhoben. Sein Urenkel, Rudolf II., Pfalzgraf von Tübingen, war Vogt von Sindelfingen. Dessen Sohn hieß in jungen Jahren Rudolf III. von Tübingen. Er gründete als Rudolf I. von Tübingen-Scheer, „der Scherer“ genannt, im Jahr 1263 die Stadt Sindelfingen. Die Gründung ist belegt durch eine Urkunde, in der die Rechte des Chorherrenstifts für ihre dortigen Besitztümer gegenüber der neu zu gründenden Stadt belegt werden. Sindelfingen konnte deshalb im Jahr 2013 sein 750 jähriges Jubiläum der Stadtgründung feiern.
Sindelfingen sollte ein Eckpfeiler gegen Böblingen sein, das nach 1250 durch seinen Vetter, Graf Rudolf von Tübingen-Böblingen „dem Böblinger“ (1214 – 1252) gegründet wurde, und mit dem Rudolf der Scherer in stetiger Fehde lag.
Die Stadt wurde zwischen dem bereits vorhandenen Stiftsbezirk und dem Dorf am Wettbach neu angelegt. Das Gelände fällt nach Süden zur Schwippe ab. Die Stadt hat etwa die Form eines Trapezes und hatte zwei Tore. Von West nach Ost maß die Stadt im Mittel etwa 230 Meter und von Nord nach Süd etwa 170 Meter mit etwa 4 1/2 ha Fläche. Bei der Gründung wurde zuerst das Terrain abgesteckt, der Stadtgraben ausgehoben und die Wälle aufgeworfen. Die Linie der späteren Stadtmauer wurde mit Palisaden gesichert. Danach wurden die Haupt- und Nebengassen, die Plätze und die Wasserversorgung festgelegt. Dann wurden Hofstätten und Hofraiten aufgeteilt, sodass danach gebaut werden konnte. Als eine von wenigen Städten besaß Sindelfingen keine Stadtkirche. An der Südostecke der neuen Stadt stand ein Herrenhof, der Fronhof des alten Dorfes Sindelfingen. Dessen nordöstlicher Teil wurde vermutlich in die neue Stadtanlage miteinbezogen. Die Stadtmauer hat dort eine Ausbuchtung.
Gleich nach der Stadtgründung begann man in großer Eile mit der Ummauerung und dem Bau der beiden Stadttore zum Schutz gegen Böblinger Überfälle. Die Mauer wurde wegen dem schwierigen Baugrund im sumpfigen Schwippetal erst 1284 fertig.
Markt und Marktbrunnen
Anfangs hatte die Stadt keinen Markt. Erst um 1450 erhielt sie das Marktrecht von Graf Ludwig von Württemberg. Es gab einen Wochenmarkt an einer Verbreiterung der Langen Gasse und jährlich zwei Krämermärkte. Der Markt wurde nach der Verlegung des Chorherrenstifts nach Tübingen wieder aufgegeben und der Straßenbereich überbaut. So entstand die Stumpengasse, die an der Oberen Burggasse endet. Erst 1552 bat die Stadt erneut um das Marktrecht. Als Markplatz wurde seit 1526 der Bereich außerhalb der Stadt zwischen dem Oberen Tor und dem Stiftsbezirk benannt. Dort steht auch der Marktbrunnen, der heutige Schwätzweiberbrunnen.
Der Marktbrunnen trug ursprünglich eine Statue des Grafen Ulrich. Als sie nach dem 30jährigen Krieg ersetzt werden musste, trug die Brunnensäule eine Statue des Herzogs Eberhard III. 1927 wurde sie durch eine Stiftung der Mina Zweigart mit der Figur „Die „Schwätzweiber“ von Prof. Josef Zeitler ersetzt. Ihr ursprünglicher Name war „Das Gerücht“. Eine sehr ähnliche Figurengruppe steht auf dem Altweiberbrunnen in Thale im Harz. Die alte Brunnensäule wurde bei der Verlängerung der Stiftstraße in den neu geschaffenen Damm zwischen den beiden Seen eingefüllt, später aber wieder herausgeholt. Sie steht heute im Stadtarchiv im Untergeschoss des Rathauses.
Stadtmauer und Stadttore
Von der nördlichen Stadtmauer ist noch ein größeres Stück in Originalhöhe am heutigen Schaffhauser Platz erhalten. Von der südlichen Mauer steht ein niederer Mauerrest im Hof hinter dem Badhaus. Ein weiteres kleines Stück der südlichen Mauer nahezu in Originalhöhe steht an der Unteren Vorstadt. Nach dem Abriss der Stadtmauer und dem Auffüllen des Stadtgrabens wurde dort eine Öffnung in die Stadtmauer geschlagen, um von der Unteren Vorstadt einen direkten Eingang in die Scheune des hinter der Mauer gelegenen Hofs in der Unteren Burggasse 22 zu erhalten. Als die Scheune in den 1960er Jahren abgerissen wurde, entstand so ein Fußgängerdurchgang von der Unteren Vorstadt in die Untere Burggasse.
Weitere Reste des Mauerfundaments wurden 2001 bei Aushubarbeiten am Anwesen Turmgasse 2 und 2003 im Areal Martinsgasse 6 und Hintere Gasse 19 entdeckt.
Die Grundrisse der beiden ehemaligen Tore, der des östlichen Verlaufs der nördlichen Stadtmauer und des Diebsturms sind im Pflaster mit roten Buntsandsteinen markiert. Ab 1830 wurden die Stadtmauern und die beiden Stadttore abgebrochen und der Graben aufgefüllt und planiert. Auf dem östlichen Graben wurde die breite Planiestraße angelegt.
Zum großen Stadtfest anlässlich des 750 Jubiläums wurde das Untere Tor mit einem Rohrgerüst und bemalten Planen nachempfunden. Leider konnte es nicht für immer stehen bleiben.
Gassen
Zwischen dem Unteren und dem Oberen Stadttor bildet die Lange Gasse die Hauptachse der Stadt. Sie läuft von Süden her auf die Martinskirche zu und macht oben einen Links- und dann einen Rechtsknick, wohl um den beträchtlichen Höhenunterschied beim Oberen Tor auszugleichen.
Die Gassen in der Altstadt verlaufen rechtwinklig zueinander: die Hintere Gasse, die Kurze Gasse, die Obere und Untere Burggasse, die Abtgasse, die Stumpengasse und die Turmgasse. Nur die Martinsgasse verläuft als einzige von der Hinteren Gasse beim Alten Rathaus schräg hinunter zur Stadtmauer.
Vorstädte
Als es mit der wachsenden Bevölkerungszahl in der Stadt zu eng wurde, wurden außerhalb der Stadtmauer im Norden die Obere Vorstadt und im Süden die Untere Vorstadt angelegt.
Zwischen Stiftsbezirk und Stadt verläuft die heutige Ziegelstraße. Sie ist eine alte Handelsstraße nach Böblingen.
Verkauf an die Grafen von Württemberg
Alle drei Städte, Sindelfingen, Böblingen und Herrenberg, fallen während der Herrschaft des Grafen Eberhard II., des Greiners (* nach 1315, † 1392) an Württemberg. 1342 wurden Burg, Stadt und Herrschaft Tübingen an Württemberg verkauft. 1344 begann der sukzessive Verkauf der Böblinger Herrschaft, und bis 1357 hatten die Grafen von Württemberg diesen Komplex vollständig erworben. Die Herrenberger Linie der Pfalzgrafen schließlich verkaufte Sindelfingen zusammen mit der Vogtei über das Martinsstift an die Herren von Rechberg. 1369 wurde Sindelfingen endgültig von den Grafen von Württemberg erworben und dem Amt Böblingen unterstellt. Als Wappen führt die Stadt seitdem die drei schwarzen württ. Hirschstangen auf silbernem Grund, dazu das Kreuz der Chorherren. Tübingen, Herrenberg und Böblingen haben dagegen die dreilatzige Gerichtsfahne der Tübinger Grafen und Pfalzgrafen.
Im Jahr 1605 gelang es Sindelfingen, unter Herzog Friedrich I. gegen Zahlung von 2200 Gulden selbständig zu werden und ein eigenes Amt ohne zugehörige Amtsorte zu sein. Schon vorher hatte die Stadt einen eigenen Schultheiß als Vertreter des Herzogs und ein eigenes Gericht mit hoher Gerichtsbarkeit (Stock und Galgen) sowie einen eigenen Stadtschreiber und einen Stadtknecht. Der Schultheiß hieß nun Vogt, und die Stadt war auf eigene Füße gestellt. König Friedrich I. hob 1807 das Oberamt Sindelfingen auf und unterstellte die Stadt wieder dem Oberamt Böblingen.
Literaturhinweise (Auswahl):
„Sindelfingen und seine Altstadt – ein verborgener Schatz“, 2013
Herausgeber: Horst Zecha, Kulturamt der Stadt Sindelfingen, ISBN 978-3-00-041492-3, 503 Seiten
„Facetten einer Stadt 1263 – 2013, 750 Jahre Stadt Sindelfingen“, 2013
Herausgeber: Frau Illja Widmann, Stadtmuseum Sindelfingen ISBN 978-3-00-042887-6, 84 Seiten
„Ehrwürdiges Alt-Sindelfingen, Rundgang durch die malerische Altstadt“, 1977
Herausgeber: Walter Nimmerrichter, Verlag Adolf Röhm
„Geschichte der Stadt Sindelfingen“, 1975
Herausgeber: Hermann Weisert, Verlag Adolf Röhm