Der große Brand am 20. August 1907

Brand 1907

Brand 1907

Bild: Rudolf Gross / Stadtarchiv Sindelfingen

Wenn wir die Darmsheimer Ortsgeschichte der letzten hundert Jahre durchgehen, so finden wir, dass neben einem in der Geschichte unseres Orts einzig dastehenden Ereignis alle die andern Begebenheiten dieser Zeit verschwinden. Es ist der große Brand am 20. August 1907, wobei 65-70 Gebäude eingeäschert und 58 Familien obdachlos geworden sind.

Der 20. August 1907 war ein wunderschöner Sommertag. Die Einwohner waren mit den letzten Erntearbeiten auf den Feldern beschäftigt. Nur wenige waren zu Hause ge­blieben. Da ertönte plötzlich nachmittags 3/4 2 Uhr die Feuerglocke. Von den umliegen­den Feldern aus sah man aus der Mitte des Orts die feurige Lohe aufsteigen. Alles eilte der bedrohten Heimstätte zu. Im eng bebauten Krabbennest war das Feuer ausgebrochen und hatte in den mit reichen Heu- und Fruchtvorräten angefüllten Scheunen dieses Ortsteils gute Nahrung gefunden. In kurzer Zeit stand das ganze Häuserviertel mit dem Postamt, dem Pfarrhaus und dem Wohnhaus des Schultheißen Luz in hellen Flammen. ,,Alles ren­net, rettet, flüchtet.” Doch konnte bei dem außerordentlich raschen Umsichgreifen des Feuers von der durch den Schrecken gelähmten, teilweise ganz kopflosen Bevölkerung nur wenig gerettet werden. Schon eilten die Feuerwehren der Nachbargemeinden Dagersheim, Böblingen, Sindelfingen, Ehningen, Aidlingen, Maichingen und Döffingen zur Hilfe herbei. Sie waren fast machtlos gegenüber dem wütenden Element. Was nützte alle Anstrengung, wenn das Notwendigste fehlte: Wasser! Nach Wasser erklang der Ruf von allen Seiten. Aber die Brunnen waren leer und der Bach nur ein dürftiges Rinnsal. Die Gülle aus den Düngergruben musste aushelfen. Zum Unglück drehte sich noch plötzlich der Wind und das Feuer griff nun auch auf bisher verschonte Häuser über. Was Hände hatte zu helfen, half die bedrohte Habe bergen. Auf den Wiesen an der Schwippe lag allerlei Hausrat bunt durcheinander. Schweine wälzten sich in den gerette­ten Bettstücken. Ochsen, Kühe, Kälber, an die Bäume angebunden, schrien nach Futter und dem Stall. Wenn nur Wasser da wäre! Da kommt jemand ein rettender Gedanke. Wenn man das Wasser von den Böblinger Seen hätte! Dort werden die Schleusen ge­öffnet. Doch wie lange steht es an bis es kommt! Schon hat das Feuer weiter gefressen. Die Kirchturmspitze fängt an zu brennen. Machtlos, händeringend stehen die obdachlos Gewordenen da. Gegen 6 Uhr trifft die zu Hilfe gerufene Stuttgarter Berufsfeuerwehr mit einer Dampfspritze unter Leitung von Branddirektor Jakoby und Brandmeister Müller ein.

Dampfspritze_Magirus

Dampfspritze Magirus

Bild: SWV Darmsheim Fotogruppe

Mit ihr kommt endlich, endlich das Wasser aus den Böblinger Seen! Beim Gottlieb Sautterschen Haus wird der Bach gestaut. Die geübten Stuttgarter Wehrleute gehen nun zusammen mit den übrigen Feuerwehren energisch an die Bekämpfung des Feuers. Von drei Seiten umgibt dieses das Sauttersche Gasthaus. Dessen Besitzer wehrt sich wie ein Verzweifelter, unterstützt von beherzten Männern, um sein Heim und seine Habe. Stundenlang mühen sie sich mit einer Feuerspritze, die mit Gülle gespeist wird, ab. Der Schweiß rinnt in Strömen. Die Gesichter sind von Rauch und Qualm geschwärzt. Most und Bier wird herbeigeführt und geschleppt, um den brennenden Durst zu löschen. Und es gelingt! Das Haus wird gerettet. Auch sonst vermochten endlich die vereinten Kräfte des furchtbaren Brandes Herr zu werden. Erst nach Tagen der Entspannung ließ sich das ganze schreckliche Unglück einigermaßen übersehen. Was war aus unserem schönen Ort in wenigen Stunden geworden! Eine rauchende Trümmerstätte! Noch tagelang glostete verkohltes Gebälk, loderten da und dort aus den Ruinen und Schuttmassen die Flammen wieder auf.

Brand Verwüstung

Brand Verwüstung

Bild: Rudolf Gross / Stadtarchiv Sindelfingen

Nun galt es, dem großen, über die vom Brand betroffene Bevölkerung herein gebro­chenen Elend zu steuern, vor allem einmal die vielen Obdachlosen unterzubringen. Zu diesem Zweck trat ein Komitee unter Leitung von Pfarrer Richter, der im Schulhaus untergekommen war, Schultheiß Luz, Bezirksgeometer Buck und Baurat Roller aus Stuttgart zusammen. Die meisten der Geschädigten fanden bei Bekannten und Verwandten in dem noch erhaltenen Ortsteil, in Dagersheim und Döffingen Unterkunft. Insgesamt sind – nach der am Rathaus angebrachten Erinnerungstafel – abgebrannt: 49 Wohnhäuser, 32 Scheuern und 62 Nebengebäude. Der Gebäudeschaden betrug 280.000 Mk., der Mobiliarschaden 172.000 Mark. Ein Hilfskomitee zur Linderung der Not und zur Unterstützung der Hilfsbedürftigen beim Wiederaufbau wurde gegründet sonst so weltvergessenes Dörfchen wurde mit einem Mal weit über die Grenzen unserer Heimat hinaus bekannt. Von allen Seiten flossen Gaben an Naturalien, Kleidern, Wäsche, Haushaltungsgegenständen und Geld dem Hilfsverein zu. Selbst in der Reichshauptstadt Berlin fand eine Sammlung statt. Insgesamt gingen 123.000 Mark ein. Am zweiten Tag nach dem Brandunglück trat S. Exzellenz der Herr Staatsminister von Pischek ein, um der Gemeinde und jedem einzelnen seine Teilnahme auszudrücken und zu versichern, dass seitens der Kgl. Regierung alles geschehen werde, um die Not zu lindern und den Wiederaufbau zu erleichtern. Dies Versprechen wurde auch eingelöst. Durch Gesetz vom 11. Juli 1908 erhielt Darmsheim aus der Staatshauptkasse ein Darlehen von 100.000 Mark zwei Jahre zinslos, drei Jahre mit 2 Prozent zu verzinsen, zum Wiederaufbau. Dieser wurde in den Jahren 1907 /08 unter Leitung von Baurat Roller, Stuttgart, durchgeführt. S. M. der König sandte an den stv. Oberamtsvorstand, Amtmann Held in Böblingen, folgendes Beileidstelegramm: ,,Tief erschüttert durch das schwere Brandunglück bitte ich Sie, den hart geprüften Einwohnern von Darmsheim meine tiefinnige, landesväterliche Teilnahme auszusprechen und mir zu berichten, wie und wo ich helfend beistehen kann. Wilhelm.”

Ein ähnliches Beileidsschreiben des Königs erhielt Pfarrer Richter. Heute steht unser stiller Ort wieder schmucker als je da. An dem neuerbauten Haus, in welchem der Brand ausbrach, steht zur Erinnerung: ,,Hier brach das Feuer aus, wuchs mächtig durch den Wirbelwind. Beschütze Gott dies Haus, den Ort mit Mannen, Weib und Kind!” Und am letzten Haus, das der Brand ergriff, lesen wir: ,,An meinem Schäferhause, da fand der Brand ein Ende, den Schutz der neuen Klause leg ich in Gottes Hände” (Besitzer: Gottlieb Schäfer).

Brand Aufräumen

Brand Aufräumen

Bild: Rudolf Gross / Stadtarchiv Sindelfingen

Brand Aufräumen

Brand Aufräumen

Bild: Rudolf Gross / Stadtarchiv Sindelfingen

Möge unser schönes Darmsheim in der Zukunft vor solch schweren Schicksalsschlägen, wie der 20. August 1907 einen bedeutete, bewahrt bleiben! Im Böblinger Boten veröf­fentlichte F.M. (wohl Friedrich Müller, Böblingen) folgendes Gedicht:

Mitten in den Erntetagen
hat sichs Unglück zugetragen;
In dem heißen Arbeitsdrang
Plötzlich Feuerruf erklang.
Welch ein Jammer und welch Grauen
Ist nun in dem Ort zu schauen;
Wer ein teilnahmsvolles Herz,
Fühlet Mitleid hier und Schmerz.
Was vermochten Menschenhände
Bei der Wut der Elemente!
Trotz der Hilfe fern und nah
Stehn nur noch Ruinen da.
Was die Abgebrannten leiden,
Lässt sich nicht in Worte kleiden.
Auch kein Pinsel und kein Stift
Malt das Elend, das sie trifft.
Stumm stehn Männer bei den Trümmern,
Frauen weinen, Kinder wimmern,
Ohne Obdach, ohne Brot,
Da ist Hilfe dringend not.
Durch des macht’ gen Feuers Gluten
Ward so viel verderbt des Guten,
Denn der Erntesegen reich,
Ist jetzt Schutt und Asche gleich.
Wer kann da sein Herz verschließen,
Wenn so viele Tränen fließen
Um verlorenes Gut und Hab,
Das nun liegt im Trümmergrab.
Als dort Alesund in Flammen,
Flossen Gaben gleich zusammen;
Unser Kaiser ging voran,
Dem gar viele folgten dann.
Auf denn, wackres Volk der Schwaben,
Opfre du auch deine Gaben;
Unser liebes Königshaus
Geht gewiss auch hier voraus.
Dass man bald den Jammer wende,
Öffnet willig Herz und Hände,
Um zu steuern dieser Not.
Helft, erfüllt des Herrn Gebot!
,,Wenn die Not am allerhöchsten,
ist die Hilfe auch am nächsten.”
Und sie ist auch hier nicht weit:
Darmsheim, tröste dich des heut!
F.M.

Brand Boeblinger Bote

Extra-Ausgabe Des Böblinger Bote

Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Böblingen

Mittwoch, den 21. August           Ausgegeben morgens 5 Uhr

Großer Brand in Darmsheim

In dem benachbarten Darmsheim ist heute Nachmittag kurz nach ½ 2 Uhr in dem Hause des Karl Buck Feuer ausgebrochen, das bei der gegenwärtigen Trockenheit mit rasender Schnelligkeit sich ausdehnte, so daß in einigen Stunden zirka 65 – 70 Wohn- und Oekonomiegebäude ein Raub der Flammen wurden. Ungefähr 58 Familien haben in der kurzen Zeit Hab und Gut verloren. Das Rathaus und die Kirche waren in sehr großer Gefahr und mußte alles daran gesetzt werden, um solche zu retten. Der Kirchturm hatte bereits Feuer gefangen, und dem überaus tatkräftigen Eingreifen der Feuerwehren ist es zu verdanken, daß das verheerende Element sich nicht auch auf den oberen Teil des Orts verbreitete. Unter anderen Gebäuden brannte auch das Pfarrhaus, das Gasthaus zum Adler, das Gebäude der Postagentur von Kaufmann Briegel ab. Auch die Gebäulichkeiten von Schultheiß Luz wurden zerstört. Auf dem Brandplatz waren nach kurzer Zeit erschienen: Die Feuerwehren von Böblingen, Dagersheim, Aidlingen, Döffingen, Ehningen, Sindelfingen u. Maichingen. Durch die fortwährend steigernde Gefahr wurde auf Anordnung des Kgl. Oberamts beim Kgl. Ministerium um die Hilfe der Stuttgarter Berufsfeuerwehr nachgesucht, von welcher kurz nach 6 Uhr ein Zug mit 14 Mann von der Hauptfeuerwache auf dem Brandplatz erschien. Unter der zielbewußten Leitung des Branddirektors Jakoby und des Brandmeisters Müller wurde sofort mit der Dampffeuerspritze energisch eingegriffen und einem weiteren, höchstwahrscheinlich unausbleiblich gewesenen Umsichgreifen des Feuers Einhalt getan. Leider fehlte es anfänglich an Wasser, welchem Uebelstand dann durch die Öffnung des Unteren Sees in Böblingen abgeholfen wurde. Durch den herrschenden Wind entstand so starkes Flugfeuer, so daß sich anfänglich die Feuerwehren nur darauf beschränken konnten, das Feuer auf seinen Herd einzudämmen. Auf dem Brandplatz erschienen im Lauf des Abends Herr Regierungsdirektor von Doll und Gemeinderat Dr. Rettich von Stuttgart. Die Brandstätte bietet ein Bild trostloser Verwüstung und den Besuchern desselben bot sich bei der Wanderung von Dagersheim her ein entsetzliches Bild, das durch die scheinende, blutrote Abendsonne noch erheblicher kontrastiert wurde. Auf den Wiesen lagert Mobiliar aller Art und die betroffenen Familien scharen sich unter Weinen und Klagen um ihre noch geretteten, geringen Habseligkeiten. Der Jammer der Unglücklichen ist entsetzlich, sie wissen nicht was in Zukunft werden soll. Ein wirres Durcheinander begegnet dem Beschauer mit jedem Schritt. Beinahe das ganze Dorf hatte ausgeräumt und flüchtete sich teils auf die Felder und in die nahe liegenden Gärten des Ortes. Gegen Abend, als die größte Gefahr beseitigt war, sah man, wie sich die Unglücklichen anschickten irgendwo Unterkunft zu finden. Alle Augenblicke sieht man einen vom Brandunglück Betroffenen mit einem Stück Vieh oder irgendeinem Mobiliarstück traurig daherkommen. Zum Teil schicken sich Leute an, ihre Habseligkeiten auf Wagen zu verladen um bei Angehörigen in der nächsten Umgebung für die nächste Zeit unterzubringen. Eine große Anzahl Radfahrer, Automobilisten und Fußgänger nähern sich dem Brandplatze. Unzählige Wasserfässer werden von dem benachbarten Dagersheim herbeigeführt, um dadurch zur Dämmung des Feuers beizutragen. Bei Einbruch der Dunkelheit war das Bild der Zerstörung noch größer u. wenn man einen Gang durch die Trümmerstätte macht, so überkommt einen unwillkürlich eine Stimmung, die sich nicht in Worte fassen läßt. Hier wird eine Seitenwand von einem Hause eingestoßen, dort wieder schreitet man durch Reihen der Unglücklichen, die vor Jammer und Schmerz kaum zu sprechen vermögen. Wieder an einem Ort begegnet man der ernstlichen Tätigkeit der Feuerwehren, welche sich opferwillig in den Dienst der Nächstenliebe stellen. Glücklicherweise sind Menschenleben nicht zu beklagen, und die Wirkungen und der Schaden des Brandes lassen sich vorläufig noch gar nicht übersehen. Die Gemeinde bietet ein Bild voll Jammer und Elend. Viele Familien sind obdach- und besitzlos geworden, und was an Hausrat sich zusammen raffen ließ, liegt zum Teil wirr durcheinander. Leider sind von den Abgebrannten verschiedene nicht und andere nur ungenügend versichert. Bis spät in die Nacht hinein wogte auf der Straße nach und von dem Brandplatz eine unzählige Menschenmenge. In dem wirren Durcheinander ließen sich Einzelheiten vorläufig noch nicht feststellen, doch wird der Schaden an Gebäuden und Mobilar ein sehr großer sein, da auch die Scheunen teilweise schon mit Erntevorräten gefüllt waren. Die Ursache des Brandes kann zur Stunde noch nicht mit Sicherheit angegeben werden, doch hört man da und dort, daß das Feuer durch Kinder entstanden sein soll. Auch hier wie in Ilsfeld und Binsdorf wird staatliche Hilfe notwendig sein und wäre es sehr zu wünschen, wenn auch private Tätigkeit sofort einsetzten würde. In dieser dringenden Not wird sich wohl der wohltätige Opfersinn der württembergischen Bevölkerung betätigen und angebracht dürfte auch hier sein: „Wer schnell gibt, gibt doppelt. Jede Gabe ist willkommen. Ein jeder hat die moralische Pflicht, so große Not, so großes Elend nach seinen Kräften zu lindern. Die erste Frage wird nun sein auf welche Weise kann den Abgebrannten am schnellsten geholfen werden und ist auch hier, wie bei den letzten großen Brandstätten anzunehmen, daß Baracken errichtet werden, wo nach vorläufiger Schätzung zirka 60 obdachlosen Familien Unterkunft finden.

Die ganze Nacht

Hindurch wurden die Löscharbeiten fortgesetzt. Um ¼ 11 Uhr mußte die Berufsfeuerwehr bei solchen an dem in unmittelbarer Nähe der Brandstätte befindlichen Kirchturm eingreifen, welcher schon mittags stark gefährdet war.

Ein Kind des Bauern Strohm, welcher auch abgebrannt ist, wird leider vermißt, ob es in den Flammen umgekommen ist, muß erst festgestellt werden.